14 Die Gewissensbildung

Theologische Arbeit im Fach Moraltheologie


Ziel einer sinnvollen Gewissensbildung

Die Voraussetzung für ein waches und richtig urteilendes Gewissen ist eine sinnvolle Gewissensbildung. Das Ziel einer sinnvollen Gewissenserziehung und Gewissensbildung ist wiederum die stete Entwicklung zu einem ‚mündigen Gewissen[1]. Wir sind nicht nur vor unserem Gewissen, sondern auch für unser Gewissen verantwortlich. Mündigkeit heißt deshalb nicht, seine persönlichen Wünsche und Begierden, womöglich auf Kosten anderer auszuleben und zu verwirklichen, sondern sie stellt die Entwicklung eines sittlich reifen Gewissens, das sich bewährt in der Verwirklichung sittlicher Überzeugungen, in der verantwortlichen Annahme von Werten und in der sach- und situationsgerechten Bewältigung von Konflikten, dar. Heute sind wir ständig unterschiedlichen Weltanschauungen, Ideologien, Lebensformen, Meinungen, Behauptungen und Überzeugungen ausgesetzt. Von welcher Meinung aber lassen wir uns beeinflussen? Was zieht uns an?

Ein christlich motiviertes, kluges und waches Gewissen hört v.a. auf die Worte Jesu Christi, schaut auf seine Taten, achtet auf seinen Ruf zur Nachfolge und orientiert sich an seiner Weisung. Alles Fühlen, Denken und Handeln ist durchformt von der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Alles wird im Licht des Evangeliums betrachtet und bewertet, um so am Aufbau des Reiches Gottes auf Erden aktiv mitzuwirken. Dabei ist es aber sehr wichtig, offen zu sein für neue Ziele, für bessere Einsichten und für die Bereitschaft, überholte Standpunkte aufzugeben. Sachwissen, Lebenserfahrung, Herzensgefühl, Wissen um verpflichtende Weisungen und die Einsicht in die Werte, die in der Weisung enthalten sind, sind so Voraussetzungen für eine kluge Gewissensentscheidung. Hierzu sind wir immer auf dem Weg – ein beständiger, lebenslanger Lern- und Reifungsprozess.

Sinnhafte Methoden der Gewissensbildung und der Gewissenserziehung

Entwicklung und Erziehung des Gewissens geschehen durch Innen- wie durch Außensteuerung. Beide Momente sind auf einander bezogen und ergänzen einander. Jeder einzelne bildet und formt sein Gewissen, aber das Gewissen bedarf auch der Weckung und Orientierung durch andere, durch Werte und Normen. Gewissenserziehung und Gewissensbildung müssen den Entwicklungsphasen des Gewissens entsprechen, wobei sich hier folgende Erziehungsgrundsätze ergeben:

  • Liebe und Annahme des Säuglings / Kleinkindes, um Urvertrauen zu vermitteln.
  • Das Kind sollte mit der Zeit ein Gespür für gut / böse  und für richtig / falsch entwickeln können. Das geschieht am besten dadurch, dass es Freude am positiven Fühlen, Denken und Handeln und Freude ganz allgemein am Guten, gewinnt. Das Vorbild und der Erziehungsbeitrag der Eltern ist hier von entscheidender Bedeutung – die Art ihres Werten und Handelns überträgt sich auf das Kind.
  • Gewissenserziehung im Jugendalter muss Erziehung zur Übernahme von Eigenverantwortung sein. Der Jugendliche darf weder zu sehr eingeengt noch bei Fehlverhalten allein gelassen werden. Forderungen müssen sein, dürfen aber nicht überfordern. Sie müssen einsehbar sein und beim Jugendlichen zur Überzeugung führen können, dass es sinnvoll ist, sie sich zu eigen zu machen und nach ihnen zu leben.
  • Der erwachsenen Mensch sollte lebenslang zur Gewissensbildung fähig sein. Darum muss Gewissenserziehung auch Lehre, Unterricht und Argumentation über Werte, Normen und Gebote enthalten. Dies darf aber nicht nur über eine reine kognitive Wissensvermittlung geschehen, sondern muss auch Appelle und Impulse an Willen und Gefühl enthalten. In seinem Fühlen, Denken und Handeln ist der Mensch ganzheitlich betroffen. Gewissen betrifft die ‚Mitte der Person’ und reicht bis in die Tiefe ihrer Existenz.
  • Gewissenserziehung muss in die Glaubenserziehung eingebettet sein. In ihr wird ...
    • die Erfahrung von Geborgenheit zur Geborgenheit in Gott,
    • die Erfahrung des sittlichen Anspruchs zur freien Bindung an das Gute
    • die Erfahrung von Geboten zur Erfahrung des Anrufes Gottes an die Freiheit des Menschen.

Entscheidende Voraussetzung für die Gewissenserziehung bei Kindern und die Gewissensbildung von Jugendlichen ist das mündige Gewissen der Erwachsenen. Nur wer sich im und vom eigenen Gewissen betroffen weiß und beständig zu Einkehr und Umkehr bereit ist, kann das Betroffensein des Menschen im Gewissen vermitteln. Für den Glaubenden ist jede Gewissensentscheidung zugleich eine Glaubensentscheidung[2]. Der Glaubende soll seine Überzeugung des Glaubens im gewissenhaften, verantwortlichen Handeln realisieren.

Wer bereit ist, diesen Weg des Gewissens zu gehen, wird bewusst auch zu seinen eigenen Grenzen stehen können und stets nach besseren Wegen seiner Gewissensverantwortung – z.B. in Gebet / Meditation / Gespräch – suchen.


[1] Ein besonderes Kennzeichen des mündigen Gewissens ist seine Empfindsamkeit für Gut und Böse; die innere Stimme, die sich immer wieder mahnend, tadelnd oder anerkennend in uns zu Wort meldet: „Tue das Gute, lasse das Böse“. Interessant und sicher manchmal Spiegel unseres eigenen Verhaltens ist das Bekenntnis in Röm 7,19: „Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will“.

[2] Siehe Röm 14,23.