Die erste Vision

Mein Traum in der Nacht des 23. Februar 1996


Plötzlich komme ich in einen Park. Aus der Ferne vor mir kommen zwei Lokomotiven direkt auf mich zu. Sie sind groß und wuchtig und kommen aus der Tiefe immer näher. Die eine fährt rechts an mir vorbei und verschwindet, die andere nach links vor mir. Ich bin ihr sehr nahe und sie ist bedrohlich groß. Ein paar hundert Meter vor mir hält sie und fährt zurück, langsam an mir vorbei. Ich suche nach einem Ausgang aus dem Park und finde ihn hinten links durch Büsche hindurch. Ein Zaun ist Gott sei Dank nicht da. Ich bin auf einer Strasse – die Umgebung wirkt alt und düster und grau. Da stoße ich auf eine einsame, abseits gelegene Kneipe und gehe an ihr vorbei. Dann höre ich – die Hütte ist schon weit zurück – ein lautes Miteinander-Reden und Lachen von Stammtischbrüdern. Es ist die angeheiterte Stimme eines alten Bekannten (N.N.). Ich vermute, dass gespielt, getrunken und geschwätzt wird und gehe zügig weiter.

Danach komme ich zu einem Couloir-ähnlichen Bergeinstieg. Man kann vom düsteren Einstieg aus den Berg nicht sehen, aber ich weiß, wie er aussieht. Ich war schon einmal dort. Allerdings ist es schon eine Weile her und es war nur für kurze Zeit. Was für ein schönes Gefühl es ist, einfach nur bei ihm zu sein, dort stundenlang zu liegen und zu betrachten. Den anmutigen Berg und seine rechts von ihm stehende, wärmespendende Sonne, schweigsam und allein, in mich selbst versunken, anzuschauen. Das genügt. Ein wohltuendes, zufriedenes, einzigartiges Gefühl. Ich sehne mich danach. Wenn man dorthin kommt, legt man sich einfach nieder, den eigenen Körper und Kopf geradeaus in Richtung der Bergkuppel und der Sonne zugewandt. Stunden – ja tagelang kann man so liegen und sich nur an der Anschauung erfreuen. Es ist schwer, das richtige Zeitgefühl zu behalten, man verliert es. Während der Anschauung ist man immer schweigsam. Nie kommt das Bedürfnis auf, reden zu wollen. Man ist dort, wie gesagt, mit sich, dem Berg und der Sonne allein. Vermutlich sind noch andere Menschen da, aber ich kann sie nicht wahrnehmen. Ich weiß aber, dass Freunde von mir ab und zu auch herkommen. Sie verbringen dann die Nacht, wie ich, im Schlafsack auf der grünen Wiese voller bunter Blumen. Jetzt, da ich dem Couloir näherkomme wird mir dies alles blitzartig bewusst. Ich treffe hier einen Bekannten, den ich erst vor kurzem kennengelernt habe. Er liegt schon im Schlafsack – und – er will heut Nacht hinüber, zum Sonnenberg. Der Einstieg ins Couloir, ebenso der Durchstieg ist sehr schwierig – für einen Nichtgeübten unmöglich zu schaffen. Zwar hängt im Einstieg ein Seil von oben herunter, aber hochkommen tut man daran nicht. Es ist lediglich für den Abstieg gedacht. Die Technik um hochzukommen ist das ‚Robben‘ – nach vorne und zur Seite. Der bekannte Freund ist gerade dabei. In seinem Schlafsack schiebt er das Gepäck seitlich vor sich her. Nur beim Über-Kreuz-Robben gewinnt man Höhe. Der rote Rucksack seiner Freundin steht auch schon da. Sie kommt und wir unterhalten uns. Sie sagt mir, dass morgen mein letzter Tag ist. Ich war mir dessen überhaupt nicht mehr bewusst. Ich überlege schnell – also dann ist heute der vorletzte Tag. Die drei Wochen sind schon um. Morgen muss ich abreisen. Über das Vergessen des Datums und die Tatsache, dass die Zeit schon vorbei ist und ich abreisen muss, bin ich etwas traurig. Den anmutigen, majestätischen Berg mit seiner wärmespendenden Sonne werde ich nicht mehr sehen. Aber dennoch, es bleibt ja die Erinnerung. Der Freund robbt schon den Rucksack seiner Freundin nach oben. Sie nimmt ihn an sich und macht sich mit ihm auf den Weg. Die Trennung ist natürlich und ohne Worte. Die Kleider, die ich noch von ihr ausgeliehen habe und die sie vorher von mir zurück bat, werde ich gleich noch besorgen und zurücklegen.

Ich gehe weiter und komme an ein Haus. Rechts an der offenen Wand stehen meine Eltern in fast jugendlichem Alter und voll Erwarten. Ich fühle Unstimmigkeiten, auch eine innere Ablehnung und Abneigung ihnen gegenüber. Hinter ihnen steht meine Grossmutter – also die Mutter meiner Mutter. Ich glaube, sie ist krank, vermutlich gelähmt und kann nicht sprechen. Aber sie lächelt. Es wird mir jetzt alles zu viel. Ich spüre eine Belastung und gehe weg. Im Haus hole ich meine Sachen, trenne die meinen von den ausgeliehenen, die ich noch zurückgeben will, und mache mich auf den Weg. Beim Verlassen des Hauses sehe ich noch im Vorbeigehen in die armselige Küche mit dem alten Spültisch und dem unförmigen Elektroboiler in der Mitte. Es war der Aufenthaltsort der kranken Oma. Jetzt verlasse ich das Haus und reise ab.

Kontext: Seit knapp zwei Jahren werde ich an meiner Arbeitsstelle gemobbt, verleumdet, denunziert und psychisch terrorisiert. Ich bin alleine und isoliert und habe beschlossen, mit dem Einsatz all meiner Kräfte für Recht und Gerechtigkeit zu kämpfen.


Die subjektive Deutung meines Traums

Die zwei Lokomotiven

Die beiden auftauchenden Lokomotiven stehen für zwei Personen, die mich seit über einem Jahr unfair und hart bedrängen. Sie kooperieren und spielen ein gänzlich falsches Spiel voller Lügen und Intrigen. Ihre Absicht ist, mich zu eliminieren, oder wenigstens soweit zu denunzieren, dass ich handlungsunfähig bin. Würde ich mich, der sich vor mir aufbäumenden Lokomotive in den Weg stellen, sie würde keine Sekunde zögern, mich zu überrollen und zu töten. Meine Angst und Kraftlosigkeit verhindern eine direkte Konfrontation mit dem Aggressor, die eigentlich nötig wäre. Will ich überleben, bleibt mir vorerst nur die Flucht.

 

Der alte Bekannte

Der alte Bekannte ist ein liebenswerter Freund aus den frühen Freiburger Zeiten, der mir leider meinen beruflichen und auch musikalischen Weg neidet. Oft genug ließ er mich dies spüren und brachte es auch verbal zum Ausdruck. Er wird mir sicher nicht helfen wollen - ganz im Gegenteil. Ich bin froh, ihm heute nicht begegnen zu müssen. Die Strasse - wohl mein vorgezeichneter Lebensweg - verbindet den Park mit dem schwierigen Einstieg zum Sonnenberg.

 

Der Sonnenberg

Zweifellos die Hauptszene und unmissverständlich eine Himmelsvision. Übrigens das Einzige, was mir sofort klar war und woran ich nie zweifelte - analog der Vision des sich verteidigenden Stephanus in Apg 7,56 "Ich sehe den Himmel offen". Der anmutige Berg symbolisiert Gott - die wärmespendende Sonne, seinen Sohn Christus. Beide bilden sie eine harmonische Symbiose, die Licht, Wärme, Fried- und Glückseligkeit ausstrahlt. Raum und Zeit spielen jetzt keine Rolle mehr. Befindet man sich einmal hier, fühlt man sich absolut sicher und geborgen. Es gibt nichts, was man vermisst. Hier im Schlafsack auf der grünen Blumenwiese beginnt das eigentliche, neue Leben - ich spüre es ganz deutlich. Hier werde ich meine Kraft, meine Energie und meinen Mut zurück gewinnen. Der schwere Zustieg im Couloir wird mich daran nicht hindern. Ich werde aber viel dafür üben müssen. Sicher allgemein verständlich, dass ich in Anbetracht meiner Geborgen- und Zufriedenheit im Schlafsack den Abreisetermin vergaß. Noch mehr verständlich, dass ich über das, was ich zurück zu lassen hatte, traurig war. Aber es musste sein - um des Lebens und der Gerechtigkeit willen. Morgen also werde ich abreisen - wieder zurückkehren - ins Leben. Im Couloir brauchte ich ja nur abzuseilen. Und der Berg und die Sonne - in meiner Erinnerung werden sie weiterleben - und weiter meine Freunde bleiben.

 

Die Eltern und die Oma

Das, was meine Eltern von mir erwarteten, würde ich niemals, weder in dieser noch in einer anderen Situation, jemals erfüllen können. Lieber verlieren und tot, als feige und klein beigegeben. Deshalb die Ablehnung und die Abneigung, obwohl sie im Grunde meines Herzens einen festen Platz haben und ich sie liebe. Das Lächeln der kranken und stummen Oma signalisiert ihre Zustimmung und ihr Verständnis bzgl. meiner Gefühle und meines Verhaltens. Ich werde kämpfen müssen - mit christlichen Waffen - und zwar allein - das war jetzt klar. Und - der Zeitpunkt, damit zu beginnen, war gekommen.


Der Sonnenberg

Der Sonnenberg - Aquarell 1996