15 Der Freiheitsbegriff

Theologische Arbeit im Fach Moraltheologie


Johannesevangelium 8,31-32

"Da sagte Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. 32 Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien." Textquelle: Das Neue Testament - Einheitsübersetzung


Begriffserläuterung und Erfahrbarkeit von Freiheit

„Jeder Mensch ist eine einmalige, unwiederholbare und unverwechselbare Person. (...) Die Fähigkeit zu freier Stellungnahme und zu sittlicher Selbstbestimmung macht seine Würde als Mensch aus.“ (KEK II, 22).

 

Die Literatur erläutert den Begriff „Freiheit“ wie folgt:

  • Freiheit meint die von Gott gegebene Unabhängigkeit von jeglicher Knechtschaft und äußerlichen Zwängen bei ausreichender Versorgung (siehe Exoduserfahrung Israels). Zudem ist mit Freiheit die Aufhebung der Entfremdung von Gott gemeint, wobei die Unfreien durch den Glauben an Jesus Christus zu freien Menschen werden (aus Bibel Bilder Lexikon, S. 116).
  • Freiheit als die Möglichkeit, in einer Entscheidungssituation wählen zu können, ist unter allen Lebewesen nur dem Menschen gegeben. Sie findet ihre Grenze in seiner eigenen Natur und in den Bedingungen der Umwelt. Freiheit ist jedoch nicht mit Willkür zu verwechseln. Deshalb ist sie nach biblischem Verständnis nur möglich in Bindung an Gott (aus Münchener Theologisches Wörterbuch zum NT, S.127).
  • Freiheit macht das zentrale Wesensmoment des Menschen aus. Im Phänomen der Freiheit zeigt sich der menschliche „Selbstbesitz“ in seiner ganzen Würde und Verantwortung. Der Mensch ist imstande, eine Wahl zu treffen und sie konsequent durchzuhalten. Er ist in der Lage, Verantwortung zu übernehmen, die nicht lediglich seiner eigenen Selbsterhaltung dient, sondern – von sich selbst absehend – auf das Wohl aller ausgerichtet sein kann. Gerade deshalb wird die Freiheit selbst noch einmal dort überschritten und in eine größere Freiheit hinein „aufgehoben“, wo der Mensch auf seine Wahl um der Freiheit eines anderen willen zu verzichten vermag (aus Seminarunterlagen FT B 4).
  • Die Freiheit ist die in Verstand und Willen verwurzelte Fähigkeit, zu handeln oder nicht zu handeln, dieses oder jenes zu tun und so von sich aus bewusste Handlungen zu setzen. Durch den freien Willen kann jeder über sich selbst bestimmen. Durch seine Freiheit soll der Mensch in Wahrheit und Güte wachsen (aus KEK II, S.22).

Der Mensch erfährt Freiheit in den verschiedenen Dimensionen seines Menschseins. Er ist zunächst eine einmalige, unwiederholbare und unverwechselbare Person, die zu sich und ihrem Tun Stellung nehmen und sich selbst bestimmen kann. Er muss und will sein persönliches und gesellschaftliches Leben eigenverantwortlich selbst gestalten. Diese Fähigkeit zu freier Stellungnahme und zu sittlicher Selbstbestimmung / Autonomie unterscheidet den Menschen von allen anderen innerweltlichen Wesen und macht seine Würde als Mensch aus. Deshalb tragen wir Verantwortung für uns selbst und für andere.

Freiheit und Anspruch zu verantwortlicher Entscheidung erfahren wir grundlegend im Mitsein und in Mitmenschlichkeit. In Begegnungen, die uns sittlich herausfordern, erkennen wir, dass Freiheit nicht individualistische, egoistische oder Willkürfreiheit sein soll, sondern sie findet ihre Ermöglichung und ihre Grenzen an der Freiheit der anderen, an ihrer Zuwendung, an ihrer Liebe, an ihrer Würde und an ihren Rechten (= Freiheit als beanspruchte Freiheit)[1]. Je mehr man das Gute tut, desto freier wird man. Wahre Freiheit gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Freiheit als sittlich beanspruchte Freiheit erfahren wir auch in der Erkenntnis unserer leiblichen Begrenztheit und Endlichkeit sowie in der Unausweichlichkeit von Leid, Unglück, Krankheit, Sterben und Tod. Eine weitere wichtige Erfahrung von Freiheit ist die Erfahrung des Versagens, der Sünde, der Schuld und der Vergebung.

Das spezifisch-christliche Verständnis von Freiheit

Gott ‚schenkt’ den Menschen seinen Sohn Jesus Christus[2]. Dieser überwindet die Macht des Bösen vollständig. Jene, die seine Botschaft glaubend annehmen, werden von ihren Sünden befreit und so zu Töchtern und Söhnen Gottes gemacht. Jesu befreiendes Handeln wirkt sich am ganzen Menschen aus. Dies zeigt sich konkret v.a. in seinen Heilungswundern und in seiner Zuwendung zu den Armen und Unterdrückten, die er aus ihrer Isolierung befreit. Für den Apostel Paulus steht zweifelsfrei fest, dass der Gottlose allein aus Glauben ohne die Werke des Gesetzes durch die Gnade Gottes gerechtfertigt wird. Alleinige Voraussetzung dafür ist der Sühnetod Jesu, durch den Gott die Menschheit grundsätzlich von den Sünden und vom Fluch des Gesetzes befreit hat. Der Christ steht nicht mehr unter dem Gesetz und damit nicht mehr unter der Sünde, sondern unter der Gnade. Als mit der Gabe der Gerechtigkeit Gottes Beschenkte, sind allein die Christen wahrhaft Freie[3]. Freiheit ist Gabe Christi, so dass der Christ sie „in Christus Jesus“ besitzt. Sie kann es deshalb nur dort geben, „wo der Geist des Herrn ist“.

Diese Freiheit schließt eine neue Bindung ein; denn die von der Sünde Befreiten sind Sklaven der Gerechtigkeit bzw. Sklaven Gottes oder Christi geworden. Echte Freiheit findet ihren Ausdruck im Dienst am Nächsten. Wer wirklich liebt, tut in Freiheit, was das Gesetz gebietet. Die christliche Freiheit wird sich in der Herrlichkeit vollenden, die die unverlierbare Gemeinschaft mit Gott bedeutet. An ihrer Herrlichkeit wird die gesamte Schöpfung teilhaben, die „befreit werden wird von der Sklaverei der Vernichtung zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“[4].


[1] Goldene Regel: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“

[2] Nach Joh 8,32 macht die Wahrheit, d.h. Christi Leben schenkendes Wort, frei.

[3] Vgl. Gal 4,21-31.

[4] Vgl. Röm 8,21.