24 Martin Luther

Theologische Arbeit im Fach Kirchengeschichte


Von der Freiheit eines Christenmenschen

"Zum sechsten fragst du aber: Welches ist denn das Wort, das solch große Gnade gibt, und wie soll ichs gebrauchen? Antwort: Es ist nichts anderes, als die Predigt, von Christus geschehen, wie sie das Evangelium enthält. Diese soll sein und ist so beschaffen, dass du deinen Gott zu dir reden hörest, wie all dein Leben und Werke vor Gott nichts seien, sondern du müsstest mit allem dem, was in dir ist, ewiglich verderben. So du solches recht glaubst, wie du schuldig bist, so musst du an dir selber verzweifeln und bekennen, dass der Spruch Hosea 13,9 wahr sei: „O Israel, in dir ist nichts denn dein Verderben, allein aber in mir steht deine Hilfe.“ Damit du aber aus dir (heraus) und von dir (frei), das ist aus deinem Verderben herausgekommen mögest, so setzt er dir seinen lieben Sohn Jesus Christus vor und lässt dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen: Du sollst dich ihm mit festem Glauben ergeben und frisch auf ihn vertrauen. Ebenso sollen dir um dieses Glaubens willen alle deine Sünden vergeben sein, soll all dein Verderben überwunden sein und du gerecht, wahrhaftig, in Frieden, fromm sein, sollen alle Gebote erfüllet und du von allen Dingen frei sein, wie Paulus Röm. 1,17 sagt: „Ein gerechtfertigter Christ lebt nur aus seinem Glauben“; und  Röm. 10,4ff.: Christus ist das Ende und die Fülle aller Gebote denen, die an ihn glauben. Hieraus ist leicht zu verstehen, warum der Glaube so viel vermag und dass keine guten Werke ihm gleich sein können. Denn kein gutes Werk hänget (so) an dem göttlichen Wort wie der Glaube, kann auch nicht in der Seele sein; sondern allein das Wort und der Glaube regieren in der Seele. Wie das Wort ist, so wird auch die Seele von ihm, gleichwie das Eisen aus der Vereinigung mit dem Feuer glutrot wie das Feuer wird. So sehen wir, dass ein Christenmensch an dem Glauben genug hat; er bedarf keines Werkes, dass er fromm sei. Bedarf er denn keines Werkes mehr, so ist er gewisslich von allen Geboten und Gesetzen entbunden; er ist entbunden, so ist er gewisslich frei. Das ist die christliche Freiheit, der einzige Glaube, der da macht, nicht dass wir müßig gehen oder übel tun können, sondern dass wir keines Werkes bedürfen, zur Frömmigkeit und Seligkeit zu gelangen, wovon wir hernach mehr sagen wollen." Textquelle: Martin Luther: Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520, in: Kurt Aland (Hrsg.), Luther Deutsch Bd. 2, Stuttgart/Göttingen 1962, 251-274, hier 253f, 256.


1520 war in der Entwicklung Martin Luthers ein entscheidendes Jahr. Die Verurteilung auf dem Wormser Reichstag 1521 war noch nicht erfolgt, auch wenn sich die theologische Auseinanderentwicklung abzeichnete. In diesem Jahr veröffentlichte er seine theologischen Hauptwerke. Zu diesen zählt die Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Nach den einleitenden programmatischen Sätzen „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ erläutert er im ersten Teil, wieso der Mensch frei ist.

Wie Martin Luther die Freiheit des Menschen begründet

Frei wird und ist der Mensch – einzig und allein – durch den Glauben an die Person Jesus Christus, so wie er in den Evangelien beschrieben und dargestellt ist. In festem Glauben sollen wir ihm nachfolgen und allein ihm vertrauen. Seine Worte sind so lebendig und vollmächtig, dass sie jeden Menschen nicht nur trösten, sondern auch zu befreien vermögen. Allein aus diesem Glauben an Jesus Christus wirst und bist du vor Gott gerechtfertigt. Um dieses Glaubens willen wirst du den Tod überwinden und all deine Sünden werden dir vergeben. Du wirst wahrhaftig, in Frieden fromm von allen Dingen frei sein. Deshalb lebt ein gerechtfertigter Christ nur aus seinem Glauben[1]. Dieser hat Vorrang vor den Werken. Es bedarf keiner guten Werke um fromm und selig zu werden. Im Vergleich zu den guten Werken vermag der Glaube alles – er genügt. Göttliches Wort und Glaube regieren in der Seele. Von allen Geboten und Gesetzen entbunden ist und wird der Christenmensch frei.

Die theologische Position Luthers

Die zentrale theologische Position Martin Luthers besagt, dass der Mensch allein aus göttlicher Gnade („Sola gratia“) und allein aufgrund seines Glaubens („Sola fide“) – und nicht wegen seiner Verdienste – von Gott gerechtfertigt, d.h. angenommen ist. Seine Rechtfertigungslehre impliziert folgende Aspekte:

  • Christozentrik: Nur in Christus können wir gerecht sein.
  • Schriftprinzip: Nur in der hl. Schrift tritt uns Christus entgegen[2].
  • Vorrang des Glaubens vor den Werken: Solange wir auf das vertrauen, was wir vor Gott leisten können, sind wir verloren, retten kann uns nur der Glaube an Christus, der für uns gelitten hat und gestorben ist.

Die „guten Werke“ sind nicht mehr die Voraussetzung der Rechtfertigung, sondern deren Konsequenz. An erster Stelle steht der von Gott geschenkte Glaube. Hieraus erwächst die Liebe zu Gott, und aus dieser wiederum der freie, willige und freudige Liebesdienst am Nächsten. Durch den Glauben sind wir von allen Dingen frei, durch die Liebe sind wir allen Menschen verpflichtet.

Konsequenzen hieraus

Der Streit weitete sich nach der Leipziger Disputation vom 27.06.1519 aus. Nach der Publikation seiner drei großen, reformatorischen Schriften[3], in denen er die römische Kirche heftig kritisierte, spitzte sich dann der Konflikt im Jahr 1920 zu. Er leugnete die theologische Überzeugung vieler Jahrhunderte und forderte leidenschaftlich Reformen. Die Schriften wurden rasch verbreitet und hatten eine ungeheure Wirkung. Da M. Luther das vor allem im Mittelalter entwickelte Selbstverständnis des Papsttums in Frage stellte und damit das mittelalterliche Kirchenverständnis aufgab, musste die Kirche seiner Zeit ihn ausschließen. M. Luther konnte nicht gegen sein Gewissen handeln und somit die Thesen seiner Schriften nicht wiederrufen. So wurde er schließlich am 03.01.1521 von Papst Leo X. mit dem Bann belegt und exkommuniziert. Danach am 18.04.1521 verweigerte er ebenfalls auf dem Reichstag vor dem Kaiser und den Ständen den Widerruf seiner Schriften, so dass über ihn und seine Anhänger die Reichsacht[4] verhängt wurde. Die Reformation breitet sich folglich immer weiter aus, die Kirchentrennung ist nicht mehr aufzuhalten.

Heute – fast 500 Jahre später – wird Gott sei Dank von beiden Seiten ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre festgestellt. Die Lehrverurteilungen der Reformationszeit treffen nicht mehr zu.


[1] Aus Röm 1,17 gewinnt M. Luther seine befreiende Erkenntnis – „Sola gratia“, „Sola fide“.

[2] Letzte Norm in Bezug auf Lehre und Ordnung der Kirche ist für M. Luther allein die hl. Schrift („Sola scriptura“).

[3] 1. Adelsschrift; 2. Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche;  3. Freiheitstraktat;

[4] Jeder wird darin aufgefordert, Luther – den von Rom verurteilten Ketzer – gefangen zu nehmen und an den Kaiser aus zu liefern.