47 Die Verwandten Jesu


Öffnet ihm wenn er kommt

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - MK 3,20-35

 

"Und er kommt ins Haus. Und abermals laufen die Leute zusammen, so dass sie nicht einmal Brot essen konnten. Als die Seinen es hörten, zogen sie aus, ihn zu greifen; denn es hieß, er sei außer sich geraten. Und die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgestiegen waren, sagten: Den Beelzebub hat er! Und: Mit dem Anführer der Abergeister treibt er die Abergeister aus! Und er rief sie her und redete in Gleichnissen zu ihnen: Wie kann der Satanas den Satanas austreiben? Und: Wenn ein Königtum gegen sich selber sich spaltet, so kann jenes Königtum nicht bestehen. Und: Wenn ein Haus gegen sich selber sich spaltet, so wird jenes Haus nicht bestehen können. Und: Wäre der Satanas gegen sich selber aufgestanden und gespalten, so kann er nicht bestehen – am Ende ist es mit ihm. Nein, keiner kann ins Haus des Starken eindringen und ihm die Gefäße rauben, er hätte denn zuvor den Starken gefesselt; dann mag er sein Haus ausrauben. Wahr ists, ich sage euch: Alles wird den Menschenkindern nachgelassen, die Versündungen und die Lästerungen, wieviel sie lästern mögen. Wer aber gegen den Heiligen Geist lästert, bekommt auf Weltzeit hin keinen Nachlass, sondern unendlicher Versündung ist er schuldig – das: weil sie sagten, er habe einen unreinen Geist.

Und da kommen seine Mutter und seine Brüder. Und draußen stehend sandten sie zu ihm und ließen ihn rufen. Um ihn herum saßen Leute, und man sagt ihm: Da! Deine Mutter und deine Brüder und Schwestern draußen suchen dich. Er hebt an und sagt zu ihnen: Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Und ringsum schaut er die im Kreis um ihn Sitzenden an und sagt: Da sind sie – meine Mutter und meine Brüder! Wer den Willen Gottes tut: Der ist mir Bruder und Schwester und Mutter".


Predigt am 10. Sonntag im Jahreskreis 2018


Öffnet ihm wenn er kommt

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder in Christus Jesus,

die kirchlichen Fest- und Feiertage liegen zurück – der Alltag hat uns wieder, auch in der Verkündigung und der Liturgie. Jesus ist von Sinnen, heißt es heute im Evangelium bei Markus. Die, die das von ihm behaupten sind nicht seine Gegner – es sind seine leiblichen Verwandten, die eigene Familie. Ganz offenbar halten sie ihn für ver-rückt. Ihre Ehre, ihr Ansehen, ja – der gute Ruf der Sippe, standen auf dem Spiel, weshalb sie ihn, wenn’s sein muss, auch mit Gewalt zurückholen wollen. Da sie aber wegen der vielen Menschen nicht zu ihm durchkamen ließ man ihm ausrichten: „Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir“. Er wird ja wenigstens herauskommen und sich irgendwie erklären, dachten sie. Aber – so einfach herausrufen lässt sich Jesus nicht. Sondern – er ignoriert sie. Er bleibt an seinem Ort, auf seinem Weg – und damit seinem Gewissen und der vom Vater in ihn hineingelegten Berufung und Sendung treu. Immer wieder erfahren wir – so eben auch hier – Jesus wird Gott mehr gehorchen, als den Menschen.

 

„Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ fragt Jesus zurück. Dabei schaut er die, die um ihn herumsitzen, an, und sagt: „Diese sind meine Mutter und meine Brüder“. Dort sitzen einfache Leute wie z.B. die Fischer, die Bettler, Arme und Kranke; aber auch die Ausgegrenzten und Verachteten wie z.B. die Sünder und die Zöllner. Menschen, die seinem Ruf folgten und an ihn und seine Verkündigung glaubten. Und natürlich auch hofften, durch ihn wieder neuen Mut und neue Kraft für ihr ganz persönliches Leben zu schöpfen. Damit aber bricht Jesus rücksichtslos und radikal mit der eigenen Familie und damit durchbricht er auch die gesellschaftliche Ordnung. Immer wieder tat er dies – ja, er musste es einfach tun. Denken wir an seinen Auftritt im Tempel, wo er die Tische der Geldwechsler und der Händler umstieß und sie aus dem Tempel jagte, mit den Worten: „Ihr habt aus diesem Haus des Gebets eine Räuberhöhle gemacht“. Oder als Petrus – weil Jesus erstmals über sein bevorstehendes Leiden redete – ihn beiseite nahm und ihm Vorwürfe machte, aber von Jesus vor allen anderen zurechtgewiesen wurde mit den Worten: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“.

 

Liebe Schwestern und liebe Brüder – was ist hier noch spürbar vom ‚lieben Heiland‘? Wie geht‘s uns, wenn wir so etwas hören? Wurden wir doch ganz anders erzogen, nämlich: Du sollst …. v.a. die Gebote befolgen, Gutes tun, lieb sein, helfen, trösten, beistehen usw. Wo beachtet Jesus hier das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren? Wir lernten nicht, auch mal gegen den Strom schwimmen, oder sich gar unbeliebt machen. Für eine, als richtig erkannte Sache kämpfen, für sie einstehen und sie – notfalls auch gegen Widerstände – verteidigen. Jesus hatte den Mut dazu – mit solchen Widerständen umzugehen, sie auszuhalten und vor ihnen auch nicht wegzulaufen. Denn – so Jesus weiter: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter“. Damit erklärt er, was er – neu – unter Mutterschaft und Bruderschaft versteht. Die leibliche Mutter und die leiblichen Verwandten können darunterfallen, müssen aber nicht. Sie entscheiden quasi selbst. Somit kann jede und jeder – auch heute – Bruder, Schwester oder Mutter Jesu sein. Es geht ihm also gerade nicht um einen Familienstreit, sondern um eine grundlegende Aussage über die zukünftige, christliche Gemeinde. In ihr soll – vor allem – Gottes Wille geschehen. Und zwar der, der sich im Doppelgebot der Liebe und in der Bergpredigt widerspiegelt.

 

Liebe Schwestern und liebe Brüder,

diese Seite der Person Jesu sollten wir nicht übersehen. Auch Menschen, die sich ganz an Jesus hielten – denken wir nur an Bruder Franz oder Bruder Klaus –  wurden angefeindet, verlacht und im wahrsten Sinne des Wortes für ver-rückt erklärt. Aber – sie nahmen es, um der Wahrheit willen, in Kauf. Sie hatten keine Angst, Freunde und Familienangehörige zu verlieren, oder davor, einsam zu werden. Den Willen Gottes suchen, finden und tun – das war Ihnen das Wichtigste und darauf kommt es letztlich, vor allem anderen, auch für uns, an.

Dann zählen auch wir – ein schöner Gedanke und die frohe Botschaft des heutigen Tages – zu seinen wahren Verwandten und dürfen darauf vertrauen, dass unser Leben einmal in ihm vollendet wird. Amen.