2 Die Emmausjünger


Auf dem Weg nach Emmaus

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - LK 24,13-35

 

"Und da! Zwei von ihnen waren am selben Tag auf Wanderung nach einem sechzig Stadien von Jerusalem entfernten Dorf namens Emmaus. Auch die unterhielten sich miteinander über all diese Ereignisse. Da geschah es: Während sie sich unterhielten und stritten, war Jesus selbst genaht und wanderte mit ihnen. Aber ihre Augen waren gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Er sprach zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr da im Gehen miteinander wechselt? Da blieben sie stehen, verdrossen dreinblickend. Hob der eine namens Kleopas an und sprach zu ihm: Du bist der einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nicht erfahren hat, was in diesen Tagen darin geschehen ist. Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie sprachen zu ihm: Das mit Jesus, dem Nazarener, der ein Prophet war, kraftvoll in Tat und Wort vor Gott und allem Volk. Und wie ihn unsere Hohenpriester und Anführer dem Richtspruch zum Tode ausgeliefert haben und ihn kreuzigten. Wir aber hatten gehofft, er sei es, der Israel erlösen werde. Zu alldem hin aber lässt er diesen dritten Tag hingehen, seitdem das geschah. Jedoch einige Frauen von den unseren haben uns dazu gebracht, dass wir außer uns gerieten. Sie waren frühmorgens am Grab und als sie seinen Leib nicht gefunden, kamen sie und sagten: Sogar eine Erscheinung von Engeln hätten sie gesehen – die sagen, er lebe. Und da gingen einige von denen, die mit uns sind, zum Grab und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten. Ihn selbst aber sahen sie nicht. Da sprach er zu ihnen: O ihr – zu unverständig und trägherzig, um alles zu glauben, was die Propheten geredet! Musste nicht eben das der Messias leiden, um in seine Herrlichkeit zu kommen? Und angefangen von Mose und allen Propheten erklärte er ihnen, was in allen Schriften über ihn steht.

Uns so nahten sie sich dem Dorf, wohin sie wanderten. Und da tat er, als wolle er noch weiter wandern. Sie aber drängten ihn und sagten: Bleib mit uns! Es geht ja gegen Abend, und schon geneigt hat sich der Tag. Und er ging hinein, um mit ihnen zusammenzubleiben. Und es geschah: Als er sich mit ihnen zu Tisch gelagert, nahm er das Brot und sprach die Preisung, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen erschlossen, und sie erkannten ihn. Und er – hinweg schwand er ihnen. Und sie sprachen zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg mit uns redete, als er uns die Schriften erschloss? Und auf standen sie – noch zur selben Stunde, und kehrten nach Jerusalem zurück. Und dort fanden sie die Elf und jene, die mit ihnen waren. Die sagten: Wirklich – auferweckt ward der Herr, und er hat sich dem Simon sehen lassen! Auch sie berichteten, was auf dem Weg geschehen, und wie er ihnen beim Brechen des Brotes kenntlich geworden."


Predigt im Osterfestkreis 2005


Jesus kam hinzu und ging mit ihnen

Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,

betrachten wir einfach die Erzählung des Evangelisten – lassen wir uns ganz meditativ auf sie ein. Drei Tage sind nun vergangen seit jenem Abend, an dem Jesus sein Obergewand abgelegte, sich die Schürze umband, und seinen Jüngern die Füße wusch. Es war jene Liebe, die sich an den niedrigsten Platz begibt – hingebend – dienend – um gerade hierin den Sinn auch unseres Menschendaseins zu deuten. Jetzt aber sind zwei ängstliche, und über alle Maßen enttäuschte Jünger, auf der Flucht. Die Herzen sind schwer, die Köpfe voller Fragen – all ihre Ziele, ihre Erwartungen, ihre Hoffnungen, ihre Träume und Sehnsüchte – sie wurden mit einem Schlag zerstört. Jesus ist tot. Einfach so gestorben? Nein – auf die schändlichste, damals praktizierte Art und Weise hingerichtet, zerschlagen am Kreuz. Welche Katastrophe? Welche Niederlage? Bloß weg aus dieser Stadt, diesem Elend. Bloß weg aus dieser Traurigkeit, dieser Sinnlosigkeit. Was passiert ist – es hätte nie passieren dürfen. Niemals!

In diese Resignation hinein tritt plötzlich eine seltsame, geheimnisvolle Person. Die Sache – sie ist auch für uns ganz schön gefährlich, sagen sich die beiden. Drei sind besser als zwei – ein Weggefährte also herzlich willkommen. Lange geht der Fremde einfach nur mit. Er hört den beiden zu, er schweigt. Lange – sehr lange. Allem Anschein nach hat er keine Ahnung, was vor drei Tagen hier in Jerusalem passiert ist. Diese Geschichte mit Jesus von Nazareth, dem vermeintlichen König, dem vermeintlichen Messias, den sie schließlich verurteilten und kreuzigten. Und sie erzählen die ganze, traurige Geschichte – von allem Anfang an. Sie können ja nicht ahnen, dass der Fremde damit eine Absicht verfolgt. Sie können ja nicht ahnen, dass er selbst alles, im wahrsten Sinne des Wortes, hautnah erlebt hat; dass er – quasi als Hauptbetroffener – am besten von allen Bescheid weiß.

Trotzdem – der Fremde schweigt. Erst später wird er sein Schweigen brechen, und durch kluges Fragen und Auslegen der Schrift, die Jünger immer tiefer und ganz langsam, in die ganze Wahrheit hineinführen. Selbsterkenntnis und gerade so viel Wahrheit, wie sie jetzt in diesem Augenblick vertragen bzw. ‚verdauen‘ können. Bis zu guter Letzt zu dem Punkt, wo es ihnen dann wie Schuppen von den Augen fallen wird.

Für uns bedeutet dies, dass auch wir – wie Jesus – hier an unseren Mitmenschen handeln. Das, was er tut und wie er es tut, ist wichtig. Das heißt konkret: auf die Menschen zugehen, sie wahrnehmen, sie erzählen lassen – also schweigen, zuhören, nachfragen, antworten und einfach mit ihnen auf ihrem Lebensweg mitgehen. Erst wenn die Menschen spüren, dass wir uns auf sie einlassen, kann vielleicht eine andere Sichtweise der Dinge gelingen, kann sich der Horizont erweitern. Und wie bedeutend sind doch hierbei diese ersten Schritte. Sie schaffen Vertrauen und legen so das Fundament für eine gute und fruchtbare Beziehung. Und wie dieser Jesus sich anstrengt, ja anstrengen muss, weil die Jünger ganz, ganz lange eben nichts begreifen. Genau so sind auch wir aufgefordert zu motivieren, zu inspirieren – all unsere Fähigkeiten einzusetzen für den Dienst am Nächsten und die damit verbundene christliche Wahrheit. Aber Glauben-können und darin Feststehen-können ist nicht immer leicht – wir wissen es. Und dennoch frage ich mich immer wieder: Wie kann es geschehen und was können wir tun, damit Menschen im Leben und im Feiern mit uns, so etwas wie ‚Herz brennen’ oder ‚Augen aufgehen’ erfahren können? Egal wie lang der Tag heute ist – egal wie weit der Weg noch sein wird – der Fremde, er wird ihn bis zum Ende mit uns gehen. Die beiden Jünger – das bist du und das bin ich.

Als sie dann kurz vor Abend nach Emmaus – das Wegeziel war erreicht – kommen, will der Fremde geradeaus weitergehen. Unvorstellbar, hätten die Jünger ihn seines Weges ziehen lassen. Wir würden bis heute in der Dunkelheit umherirren. Diese Geschichte – sie wäre nie erwähnt worden. Aber es kommt ganz anders: „Bleib doch bei uns – verlass uns nicht“, bitten sie. „Du hast uns doch wieder Mut gemacht. Wenn du uns hilfst, dann schaffen wir’s vielleicht – können unsere Angst überwinden. Mit dir zusammen sind wir sicherer – ja seltsam, mit dir zusammen fühlen wir uns sogar ein Stück weit geborgen. Auf dem Weg hierher bist du unser Kamerad, unser Freund geworden. Bleib doch über Nacht noch bei uns und iss mit uns. Wir wünschen es von ganzem Herzen.“ Und – der Fremde bleibt.

Dann, als sie gemeinsam zu Abend essen, er das Brot bricht und es Ihnen reicht – da fällt es auf einmal wie Schuppen von ihren Augen und sie erkennen ihn. Göttlich gewirkte Erkenntnis am persönlichen Nullpunkt. Und jetzt – sofort – noch in der gleichen Stunde, es ist Nacht und dunkel – brechen sie auf und kehren wieder nach Jerusalem zurück. Von jetzt an wird sie nichts und niemand mehr zurückhalten. Von jetzt an werden sie mit großer Geistmächtigkeit und Kraft und brennenden Herzen bezeugen – auch wenn sie bedrängt, und mit dem eigenen Leben dafür bezahlen müssen: Ja – Jesus von Nazareth, unser Herr, er war die ganze Zeit bei uns, und mit uns. Er ist wahrhaft von den Toten auferstanden. Jetzt kommt alle Kraft zurück. Von jetzt an wird’s wieder hell. Und genau das, liebe Schwestern und Brüder, wünsche ich auch Ihnen – heute und für alle Zukunft – dass wir wieder neu für unsere Mitmenschen, besonders die Bedürftigen, zum hellen Licht werden. Amen.