8 Sinn der Sakramente

Theologische Arbeit im Fach Dogmatik


Versuch, den Sinn der Sakramente in einem pastoralen Gespräch zu veranschaulichen

Wenn ich etwas erläutern bzw. erklären soll, beispielsweise in einem pastoralen Gespräch, gehe ich gerne von der Theorie bzw. Literatur aus und schaue zunächst nach, wie dort die Begrifflichkeit erläutert bzw. erklärt wird.

  • Die Sakramente sind sinnenhafte Gestalten der Gnade und der Liebe Gottes; (aus Kath. Erw.-Kathechismus).
  • Die Sakramente sind wirksame Zeichen der Gnade (= Zuwendung) Gottes; (aus Seminarunterlagen DO D 3).
  • Ein Sakrament ist eine bestimmte, göttliche Gnaden vermittelnde Handlung in der katholischen und evangelischen Kirche; (aus Fremdwörterbuch Duden).
  • Sakrament ist das, was immer schon lebte und was alle Menschen erleben; (Leonardo Boff).

Die Erklärung L. Boffs[1], sein Verständnis von Sakrament und sein grossartiges Zeugnis als Befreiungstheologe und Christ sind Dinge, die mich zutiefst berühren und bewegen. In das Büchlein ‚Kleine Sakramentenlehre‘ – ich hatte es ‚zufällig‘ bei mir – hat er mir vor einigen Jahren, als er in der Katholischen Akademie in Freiburg zu Gast war, eine Widmung hineingeschrieben. Seitdem hat dieses Büchlein für mich noch mehr Wert als schon zuvor[2]. Es erinnert und verbindet mich zeitlebens an einen grossartigen und mir lieb gewordenen Menschen; es ist für mich zum Sakrament geworden.

Leonardo Boff erzählt von sich, dass er selbst sehr viel Zeit gebraucht hat, um zu verstehen, was ein Sakrament ist. Erst nach fünf Jahren – nach täglichem, mehrstündigem Studium aller Literatur zu diesem Thema – entdeckte er, was schon immer entdeckt war. Er beschreibt ein Sakrament als das, was immer schon lebte und was alle Menschen erleben, was er selbst aber nicht wusste und was nur wenige wissen. Die Landschaft der Dinge, die uns umgeben stecken voller Sakramente. Jeder Tag steckt voller Sakramente. In den Tiefenschichten des Alltäglichen gedeihen lebendige, erlebte und wirkliche Sakramente. Es sind die Dinge, die uns lieb geworden, irgendwie ans Herz gewachsen sind; z.B. die Steine auf meinem Schreibtisch, mein Gebetszimmer, mein Saxophon, die Berge, Kloster Beuron und seine Mönche, die Nähmaschine meiner Oma, auf der sie mir früher immer liebevoll die Hosen enger genäht hat, ein altes Heiligenbuch und ein Märchenbuch, aus welchem meine Großeltern immer vorgelesen haben etc.[3] All diese Dinge sind nicht einfach nur Sachen. ‚Menschen‘ sind sie geworden. Sie sprechen zu mir und ich bin in der Lage, ihre Stimme und ihre Botschaft zu vernehmen. Sie besitzen Innenleben und Herz, Sakramente sind sie geworden. Mit anderen Worten: sie sind Zeichen, die eine andere von ihnen zu unterscheidende, in ihnen aber präsente Wirklichkeit enthalten, darstellen, an sie erinnern, sie sichtbar machen und vermitteln. Wir Menschen leben so zwar umgeben von Sakramenten, verfügen aber meist nicht mehr über den offenen und entsprechend geschärften Blick, der notwendig ist, um sie reflektiert wahrzunehmen. Dinge werden als Dinge gesehen, das heißt: nur von außen betrachtet. Wer sie aber von innen her anschaut, entdeckt eine Spalte, durch die ein höheres Licht in sie hinein fällt. Das Licht beleuchtet die Dinge, macht sie transparent und durchsichtig.

Die Sichtweise von Leonardo Boff, z.B. als Einstieg in ein Gespräch, hat folgende Vorteile: Sie veranschaulicht nicht nur in höchstem Maß, sondern sie geht auch vom persönlichen Erfahrungsspektrum jedes einzelnen Menschen aus und erzeugt so eine Art innerer ‚Angerührtheit‘ – ein mögliches Gefühl innerer Betroffenheit. Interessant (und für den Beginn eines Gesprächs vielleicht von Vorteil) ist auch, dass in seiner Definition der Begriff ‚Gott‘ zunächst nicht vorkommt. Auf dieser Ebene und in diesem Sinne würde ich also versuchen, einen Zugang zu erschließen, mit dem Leitziel, dass ich von ‚meinen Sakramenten‘ und mein Gesprächspartner von ‚seinen Sakramenten‘ erzählt. Da ihm diese aber oft nicht bewusst sind, müssen sie erst entdeckt werden. Gelingt dies, wäre es schon recht viel und setzt voraus, dass der Gesprächspartner sich öffnet und aufs Thema einlässt. Die Atmosphäre des Gesprächs sollte von aktivem Zuhören und einem Gefühl des gegenseitigen Vertrauens, das wünschenswerterweise während des Gesprächs wachsen sollte, bestimmt sein. „Wenn also die Dinge anfangen zu sprechen und der Mensch beginnt, ihre Stimme zu vernehmen, dann entsteht das Gebäude der Sakramente. Auf seinem Giebel steht die Inschrift: ‚Alles Wirkliche ist nur ein Zeichen[4].‘ Zeichen wofür? Für eine andere Wirklichkeit, die Wirklichkeit, die allen Dingen zugrunde liegt: Gott.“

In einem weiteren Schritt würde ich versuchen, diese Wirklichkeit Gottes zunächst am Beispiel unseres Bruders und Freundes ‚Jesus Christus‘ in das Gespräch einzubringen – und zwar durch eine Erzählung (Perikope), die entweder mich oder meinen Geprächspartner in ganz besonderer Weise berührt[5]. Das Heil, das Gott in seinem ‚Sohn‘ den Menschen schenkt, ist nicht unsichtbar und bloß geistig, sondern es ist leibhaft erfahrbar, greifbar, sichtbar und spürbar. Deshalb ist das Sakrament Gottes für die Menschen, in welchem seine Zuwendung zu uns in ihrer ganzen Fülle erschienen ist, Jesus Christus. Er ist das Ursakrament, von dem alle einzelnen Sakramente Ausfaltungen und Konkretisierungen sind. Auf sein Wirken und seinen Willen gehen alle sieben Sakramente[6] der katholischen Kirche zurück (christologische Begründung). Deshalb ist auch er der eigentliche Spender und wir Menschen sind die Empfangenden und Beschenkten. Die Kirche weiß und versteht sich ‚nur‘ als Dienerin Jesu Christi und als Verwalterin von Gottes Sakramenten.

  • Jesus beruft Menschen in die Gemeinschaft seiner Jünger -- Taufe[7].
  • Er hält Mahl und feiert ein Abschiedsmahl -- Eucharistie.
  • Er vergibt Sünden -- Buße.
  • Er wendet sich den Kranken zu und heilt sie -- Krankensalbung.
  • Er sendet seine Jünger aus, damit sie Botschaft vom Reich Gottes verkünden -- Weihe.
  • Er gibt sich in Liebe an seine Kirche hin und macht dies zum Zeichen für die Liebe unter den Menschen -- Ehe.

Abschließend möchte ich betonen, dass es gerade in der pastoralen Alltagspraxis sehr wichtig ist, sich und dem anderen Zeit zu lassen. Gebet, Betrachtung, Meditation, Reflexion und ein ‚sich in Liebe begegnen‘, bedürfen der Einübung.


[1] Unter Zuhilfenahme des Büchleins ‚Kleine Sakramentenlehre‘ von L. Boff.

[2] Unter den ‚vielen‘ ist es eben ein besonderes. Es ist wohl ähnlich dem Gefühl des ‚kleinen Prinzen‘ (aus Antoine de Saint-Exupéry), der unter den vielen Rosen die seine als einzigartig wertvoll und besonders erkennt und liebt – allerdings erst nach dem Gespräch mit dem Fuchs.

[3] Ich nenne hier Sakramente aus meinem persönlichen Erfahrungsspektrum.

[4] Das Zeichen versteht sich hier als ein Medium, welches auf eine tiefer gelegene Wahrheit (z.B. „Gott in allen Dingen sehen können“) hinweist.

[5] So berührt und fasziniert mich zum Beispiel, wie Jesus vor allem den hilfbedürftigen und kranken Menschen begegnete – gerade auch deshalb, weil ich in meinem Beruf den Menschen auch so begegnen möchte wie er. Deshalb würde ich mir zutrauen, das ‚Sakramentale‘ z.B in einer Heilungs- oder Wundergeschichte in einem pastoralen Gespräch herauszuarbeiten.

[6] Die Zahl 7 ist symbolisch (3+4) zu verstehen, als Zahl des erfüllten Ganzen und seiner Vollkommenheit.

[7] Taufe, Firmung und Eucharistie bilden zusammen die Initiationssakramente (Sakramente der Eingliederung in die Kirche). Ursprünglich gehörten sie zusammen und wurden auch gleichzeitig gespendet.