Die zweite Vision

Mein Traum in der Nacht des 11. März 2014


Man zog mir feine, bischöfliche, lilafarbene Gewänder an. Ich ließ alles wortlos geschehen – ein großer Augenblick stand bevor. Nur noch wenige Minuten bis 11.30 Uhr. Es drängte mich sehr, noch jemanden, der davon nichts wusste, Bescheid zu geben – ich musste es tun. Als ich unterwegs und fast bei ihm war, sah ich auf meine Uhr. Es war schon wenige Minuten nach halb; ich musste zurück – sofort. Ich rannte – Autos überholten mich. Eines – auf gleicher Höhe – ließ das Fenster herunter. Der Polizist entschuldigte sich, dass sie mich vergessen hätten, abzuholen. Ich sagte, es ist nicht schlimm – ich schaffe es. Auch hinten rechts ging das Autofenster halb herunter und der, der den Kopf herausstreckte, rief: „Vorsicht, ich muss“. Schon übergab er sich und spuckte in Schwällen in mein Gesicht und auf das schöne Gewand. Er konnte nichts dafür – ich war nicht böse. Ich rannte andauernd – das Auto beschleunigte und war weg. Ich kam zurück – der Gottesdienst lief bereits. Ich lief den Mittelgang im Münster nach vorne. Ich wusste, ich muss mir zuerst den Segen des Bischofs holen, um dann zu den Menschen sprechen und alles weitere leiten zu können. Auf halbem Weg überlegte ich – ich wusste nicht, was ich sagen sollte – und – würden sie diesen Auftritt verstehen; das schmutzige Gewand, das Zu-spät-kommen, nicht vorbereitet zu ihnen zu reden.

Eine Sanftmut und innere Ruhe umhüllte mich. Aber der Raum war leer – Volk und Geistliche verschwunden. Ich suchte überall – auch in den kleineren Räumen – konnte aber niemanden mehr finden. Ich war allein – und es ging mir gut.

Kontext: Ich träumte diesen Traum vier Tage vor der größten und längsten und der vielleicht bedeutendsten Reise meines Lebens. Nach Nepal zur Mutter Göttin der Erde - Chomolungma.


Die subjektive Deutung meines Traums

Der große Augenblick und die Flucht

Jetzt also ist er da - der große Augenblick. Mein Leben lang freute ich mich darauf. Dabei wünschte ich mir immer, dass es möglichst stumm und wortlos - also ganz und gar in der mentalen Hingabe dessen, was mich wohl erwarten wird, geschieht. Recht schnell ist es recht spät geworden - also in wenigen Minuten, um 11.30 Uhr beginnt das Requiem. Mein eigenes - die obligatorische, liturgische Farbe ist lila. Also war ich schon gestorben und der vorausbestimmte Zeitpunkt meines Todes lag bereits zurück. Nun - bezüglich des Sterbens spielte für mich die Zeit - ein „zu früh“ gab es für mich nie - kaum eine Rolle. Wichtig war mir immer nur, dass ich mein Leben spürte, also in der mir frei verfügbaren Zeit auch wirklich lebte.

Gerne würde ich allerdings noch jemandem Bescheid geben, es drängt mich förmlich dazu. Einerseits, um Adieu zu sagen - und andererseits, um Freunden meine Freude mitzuteilen. Der Anonyme steht für Alle, die mir lieb geworden und ans Herz gewachsen sind, insbesondere meine Familie. Aber, die Zeit dafür, sie reicht nicht mehr.

 

Das Auto und der Polizist

Denn - als ich auf die Uhr schaue, sind es schon einige Minuten nach halb. Ich muss also auf der Stelle umkehren und schnellstmöglich zurück. Während ich so denke und renne, bremst eines der rasant vorbeifahrenden Autos auf meiner Höhe. Der Beifahrer vorne, ein Polizist, beginnt zu reden, den Fahrer des Autos sehe ich nicht. Der Polizist nennt seinen Auftrag und entschuldigt sich im gleichen Atemzug, mich vergessen und nicht abgeholt zu haben, was ich ihm in keinster Weise übel nehme. Auf meine kurze Antwort „Ich schaffe es“ reagieren sie zunächst nur mit Verständnis, erkennen aber zunehmend, dass ich es allein schaffen will und auch muss. Die wichtigen und bedeutsamen Dinge meines Lebens schaffte ich nämlich „allein“. Und am tiefsten in mich hineinsehen konnte ich, sowohl in Krisen- als auch in Freudenzeiten, immer dann, wenn ich allein war. „Allein“ nehmen mich aber immer nur die Anderen wahr; ich selbst fühle mich so nie, sondern nur umso enger verbunden mit meinem göttlichen Geist und Freund. Außerdem sahen sie, dass ich ein ausgezeichneter Läufer war und ahnten, ich könnte vielleicht sogar noch vor ihnen wieder zurück sein.

 

Der Spucker

Selten wurde mir in meinem Leben ins Gesicht - dem wohl ‚intimsten‘ aller Körperteile - gespuckt, aber es geschah. Auch hier war ich allein - sehr lang - jahrelang. Ich fühlte mich dabei am allertiefsten Punkt und wäre am liebsten gestorben; wobei ein Teil von mir auch real starb. Ich kenne also in Teilen diese Erfahrung und es hat sich daraus etwas entwickelt, das ohne diese Erfahrung nicht möglich gewesen wäre. Der Spucker hatte es bewusst und mit vollster Absicht getan - damals. Der Spucker heute - beide Spucker sind ein und dieselbe Person - befindet sich in einer Zwangssituation und kann nicht anders - er muss wieder spucken. Da er weder das Auto noch sich selbst beschmutzen will, öffnet er schnell das Seitenfenster und schon passiert es - und - wieder in mein Gesicht. Was aber neu dazukommt, auch auf das schöne liturgische Gewand. Dieses symbolisiert unmissverständlich den überweltlichen Richter, vor dem er genau hierüber einmal wird Rechenschaft ablegen müssen.

 

Die Rückkehr und der Einzug

Davon, dass ich es selbst schaffe, bin ich felsenfest überzeugt. Vermutlich bin ich zu Fuss sogar schneller, als mit dem Auto. Am stärksten, am sichersten und am schnellsten war ich unterwegs - immer allein. So ist es mir am liebsten, weil, so bin ich auch konditioniert. Verspätet und beschmutzt komme ich nun zurück zum vollbesetzten Münster, wo der Gottesdienst bereits läuft. Wie gewohnt, ziehe ich durch den Mittelgang ein. Um aber mit göttlicher Vollmacht reden zu können, werde ich augenblicklich an mein Treueversprechen erinnert. Zwei Menschen habe ich es gegeben, meiner Ehefrau bei der Trauung und dem Bischof bei der Weihe. Beides bedeutete mir immer viel und demzufolge nehme ich es auch jetzt sehr ernst. Ebenso Pünktlichkeit und für den Gottesdienst nur die allerbesten Kleider waren mir ebenfalls immer sehr wichtig. Jetzt aber war das genaue Gegenteil der Fall. Ich war unpünktlich und beschmutzt, was mich aber trotzdem nicht daran hinderte, einzuziehen. Denn just in diesem Augenblick spielte es keine Rolle mehr, weil nun all diese weltlichen Dinge im Bruchteil einer Sekunde gänzlich ihre Bedeutung verloren. Genauso die Worte, das Zu-den-Leuten-reden - Predigen war meine große Leidenschaft - und das Leiten der liturgischen Feier. Alles war nun ganz einfach - für mich - nicht mehr nötig.

Denn - nun wird Gott mein Leben übernehmen und vollenden, weshalb dann auch urplötzlich alle im Münster Anwesenden verschwunden und auch nicht mehr zu finden waren. Der große, lang ersehnte Augenblick - nun ist er also wirklich da. Eine tiefe Freude und innere Ruhe befällt mich und während ich langsam die Augen schließe und noch ein klein wenig in mich hinein lächle, bin ich ganz sicher - jetzt wird alles gut.


Der grosse Augenblick - Einzug im Münster