13 Das Gewissen

Theologische Arbeit im Fach Moraltheologie


Der Begriff

„Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinen Innersten zu hören ist. Im Gewissen erkennt man in wunderbarer Weise jenes Gesetz, das in der Liebe zu Gott und dem Nächsten seine Erfüllung hat.“

Textquelle: Pastoralkonstitution ‚Gaudium et spes‘ – II Vatikanisches Konzil

Erfahrbarkeit und Funktionsweise des Gewissens

Das Gewissen ist die freie und unverfügbare „innere Stimme“ im Menschen, die uns sagt, tue das Gute und lasse das Böse. In besonderer Weise wird es bei Christen beansprucht, da sie in der Nachfolge Christi stehend, sich in Freiheit für seine Gebote und Weisungen entschieden haben. Sie lassen sich also auf Gott ein – insbesondere auf das Liebesgebot. Deshalb gilt hier auch die ‚Goldene Regel‘: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Weil das Gewissen unverfügbar ist, kann es mitunter auch sehr weh tun, insbesondere dann, wenn es das menschliche Handeln als schlecht bewertet. Das Gewissen sagt und also: „Du hast gut oder schlecht gehandelt.“ Wir sagen ja auch, wenn wir unser Handeln ehrlich reflektieren und bewerten z.B. „Ich habe ein schlechtes Gewissen.“ Gewissensentscheidungen implizieren folgende Momente:

  1. Das Bewusstwerden der Tat und des Seins – also das gesamte Fühlen, Denken und Handeln,
  2.  Die Bewertung des Handelns als gut bzw. schlecht,
  3.  Die Möglichkeit, sich in Freiheit für ein anderes Verhalten – besser oder schlechter – zu entscheiden.

 Am Beispiel des Lügens möchte ich die Funktionsweise des Gewissens näher erläutern:

  • Lügen ist etwas Schlechtes und Verwerfliches. Es schafft kein Vertrauen, sondern provoziert Misstrauen, Missachtung, Verlust an Glaubwürdigkeit, eine ‚Kälte‘ in der zwischenmenschlichen Beziehung.
  • Das Bewusstsein führt mir nun diese Tat vor Augen. Dies kann spontan, also sofort geschehen, oder verzögert durch z.B. die Reflexion meines Verhaltens in der Meditation oder im Gespräch mit Anderen. Ich kann auch versuchen zu verdrängen, aber das Gewissen wird sich einschalten und mir die Handlung immer wieder vor Augen führen.
  •  Denn es sagt: „Du hast gelogen – und – Lügen ist schlecht. Du willst doch selbst auch nicht angelogen werden, oder? Gib deine Lüge zu, steh wenigstens zu deinem Verhalten und lüge nie mehr! Auch aus der Not heraus zu lügen, gibt es nicht! Versöhne dich!“
  •  Ich werde also das persönliche Gespräch suchen, mich bekennen und mich in aller Freiheit dazu entschließen, möglichst dieses Fehlverhalten in Zukunft zu vermeiden.

Das Ziel ist also ein gutes und ruhiges Gewissen. Auch Adam hatte beispielsweise im Paradies ein schlechtes Gewissen, weil er von den Früchten des Erkenntnisbaumes von Gut und Böse gegessen hatte. Solch menschliches Fehlverhalten wird in der Bibel Sünde genannt. Gegen Gottes Weisungen und Gebote zu handeln, machen ein schlechtes Gewissen. Unter anderem auch deshalb schickte Gott seinen Sohn Jesus, den Christus in diese Welt, damit wir in seiner Person sozusagen ein „Urbild“ des Guten, ein nicht übertreffbares Urbild, haben. Wer ihm nachfolgt und in seinem Geist positiv und gut denkt und handelt, der wird auch ein gutes Gewissen haben.

Die Bedeutung des Gewissens für das Handeln des Menschen

Jede und jeder ist beispielsweise für die Entwicklung seines Gewissens und somit seiner Gewissensentscheidungen zunächst einmal selbst verantwortlich. Er trägt deshalb bezüglich der Bildung seines Gewissens, der Gewissenserziehung z.B. bei Kindern und Jugendlichen, eine sehr grosse Verantwortung. Dieses ist ein dynamischer Prozess, der nie endet, und eine Aufgabe für jeden, bis ans Ende seines Lebens. Freilich gilt dies, wie schon gesagt, für Christen in ganz besonderem Maß; hat doch Christus selbst dazu immer wieder auch aufgerufen, eben das Gute zu tun. Einmal sagte er: Wer ist schon gut? Seine Antwort: Keiner – nur Einer. Er meinte damit seinen göttlichen Vater im Himmel. In vollendeter Weise hat bei ihm die Lehre und das Handeln, also Wort und Tat, übereingestimmt. Wer ihm jetzt nachfolgt und in seinem Geist fühlt, denkt und handelt, wird durch den ‚einen Leib‘ quasi ein Teil von ihm und so nach seinem Vorbild handeln. Liebe also Gott, deinen Nächsten und dich selbst. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen „das Gute“ vorleben. Ein Kleinkind oder Säugling muss geliebt werden, damit er sich angenommen fühlen, und Urvertrauen entwickeln kann. Ein Jugendlicher sollte an eigenverantwortliches Handeln herangeführt werden und lernen, die Bedürfnisse der Umwelt und seiner Mitmenschen wahrzunehmen. Dummheiten, die ja immer wieder passieren, sollten besprochen, in Liebe reflektiert, ggf. kritisiert und bessere Handlungsalternativen aufgezeigt werden. Insbesondere der erwachsene Mensch ist aufgerufen, eigentlich sogar verpflichtet, sein Gewissen ständig weiter zu entwickeln, mit dem Ziel, aus einem mündigen und sicheren Gewissen heraus zu guten Entscheidungen zu kommen.

So gesehen bin ich dann meinem Gewissen gegenüber verpflichtet. Es stellt die höchste, auch vom Umfeld zu akzeptierende Entscheidungsinstanz dar und ist dann, wenn ich mich darauf berufe und mir sicher bin, sogar höher zu bewerten, als beispielsweise ein kirchliches Dogma. Freilich kann und wird durch das Gewissen auch die Stimme Gottes zu mir sprechen. Schon allein durch seine Weisungen und Offenbarungen im Alten und Neuen Testament werden wir unablässig dazu aufgefordert, das Gute zu tun (Dekalog, Exodus, Propheten, Jesus Christus, Apostel Paulus etc.). Das Gewissen ist allerdings auch nicht frei davor, sich zu irren. Beispielsweise kann der Mensch, objektiv gesehen, schlecht handeln, sein Gewissen sagt ihm aber subjektiv: „Das war bzw. das ist richtig“; bei allem Abwägen und Sich-Bemühen um ein sicheres, mündiges Gewissen. In so einem Fall steht doch die subjektive Gewissensentscheidung an höchster Stelle und der Betroffene ist als nicht schuldig zu betrachten, obwohl die schlechte Tat als solche bleibt. So ist es also die Aufgabe und die Pflicht jedes Menschen, sein Gewissen zeitlebens zu schulen, zu bilden, weiterzuentwickeln, um zu sicheren Entscheidungen zu kommen. In der Nachfolge Christi stehend ist natürlich der Christ in besonderer Weise aufgefordert das Gute zu tun, sich am Positiven zu orientieren und das Gebot der Nächstenliebe zu praktizieren, wohlwissend, dass christliche Moral keine Moral des Erfolges sein kann.