8 Der gute Hirt


Ich bin der gute Hirt

Textquelle: Das Neue Testament - Übersetzung von Fridolin Stier, 1989 - JOH 10,27-30

 

"Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Und ich gebe ihnen unendliches Leben, dass sie nimmermehr zugrunde gehen – in Weltzeit nicht. Und keiner wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gegeben, ist größer als alle, und keiner vermag, sie der Hand des Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins."


Predigt im Osterfestkreis 2007


Ich rufe Dich bei deinem Namen

Liebe im christlichen Glauben versammelte Gemeinde,

wenn Menschen versuchen, zu beschreiben wie Gott ist, bedienen sie sich dabei gerne der Bildersprache. Denn – in Begriffen und Dogmen ist das Göttliche nur schwer zu fassen. Die Bilder der Heiligen Schrift, sind der Erfahrungswelt der Menschen von damals entnommen. Menschen, die meist auf dem Land lebten – eng mit den Abläufen der Natur verbunden. Schon im Alten Testament begegnet uns ganz häufig der Hirte. Der Hirte als Symbol der unentwegten Fürsorge Gottes für uns Menschen. Zum Beispiel bei Ezechiel: „Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen“, oder bei Jesaja: „Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide“, oder bei David in Psalm 23, wo er, selbst Hirte und Sohn eines Hirten, aus der Sicht eines Schafes spricht: „Der Herr ist mein Hirte – nichts wird mir fehlen.“ Ein ganz warmherziger Psalm, der vielen Menschen Vertrauen und Zuversicht schenkt. Denn selbst, wenn ich im Finstern wandern muss, so fürchte ich mich nicht, denn Gott ist ganz nahe bei mir.

Ganz konkret zeigt sich die Hirtenliebe Gottes in Jesus Christus. So konkret, dass dieser von sich sagen kann: „Ich bin der gute Hirt“ – und – „Meine Schafe hören auf meine Stimme.“ Sicher ist damit mehr gemeint, als nur das akustische Hören. Denn, wenn der Hirte sie ruft, hören sie eine Stimme, die ihnen ganz und gar vertraut ist. Sie vertrauen demder sie da ruft. Darum sind sie auch keine – wie wir sagen – dummen Schafe, die dem Hirten einfach nur so hinterher trotten. Sondern es existiert eine von Vertrauen geprägte gegenseitige Beziehung. Schon oft haben sie seine Fürsorge erfahren – und seinen Schutz. Er führt sie zum Ruheplatz am Wasser. Damals in der Wüste Wasserstellen zu finden, zeichnete einen guten Hirten aus. Das Gegenbild, der böse Hirte, ist der bezahlte Knecht. Weil ihm die Schafe nicht gehören, lässt er sie, sobald der Wolf kommt, im Stich. Der reißt sie und jagt sie auseinander. Dem bezahlten Knecht liegt überhaupt nichts an den Schafen. Gott hingegen liegt alles an uns Menschen. Er liebt uns so, wie ein guter Hirt seine Schafe liebt. Und – in diesem Bild gesprochen – sind wir seine Schafe. „Niemand“, so sagt Jesus, „wird sie meiner Hand entreißen.“ Gerade den verlorenen Schafen geht Jesus nach. Und er wird nicht ruhen, bis er sie alle gefunden hat. Dann nimmt er sie voll Freude auf seine Schultern und bringt sie heim. Ein schönes Bild – in der Kunst vielfältig dargestellt.

Letztes Jahr, bei einem Glas Milch in den Bergen, erzählte mir ein Schäfer am Col de Susanfe, dass er jedes seiner 78 Schafe – sie weiden auf ca. 2300 Meter Höhe – an seinem Gesicht erkennt. Und wenn sich eines verläuft, findet und erkennt er es wieder, weil er weiß, dass es zu seiner Herde gehört. Ich habe ihm das sofort geglaubt, obwohl ich selbst schon Mühe habe, zwei Tiere zu unterscheiden. Bei uns Menschen sagen wir gelegentlich: Der / Die ist dem wie aus dem Gesicht geschnitten. Und doch gibt es keinen, der dem Anderen völlig gleicht. Die Unterschiede beziehen sich eben nicht nur auf die Züge im Gesicht, sondern viel mehr auf die Art und Weise, wie jemand spricht, wie jemand geht, wie jemand sich gibt. Es ist die unverwechselbare Persönlichkeit, die einen Menschen aus- und kennzeichnet. „Ich kenne meine Schafe“, sagt Jesus. „Ich rufe die, die zu mir gehören, einzeln beim Namen und führe sie alle hinaus. Dann gehe ich ihnen voraus und sie folgen mir, denn sie kennen meine Stimme.“ Jede und Jeder von uns ist daher in den Augen Gottes einmalig und wertvoll, und unverwechselbar in seiner Persönlichkeit und Menschenwürde.

„Ich bin der gute Hirt – und deshalb gebe ich sogar mein Leben hin, für meine Schafe“, sagt Jesus weiter. Es ist damals ganz sicher vorgekommen, dass, wenn zum Beispiel wilde Tiere kamen, ein Hirt sein Leben riskierte, um das seiner Schafe zu schützen. Wenn aber Jesus heute dieses Bild auf sich anwendet, dann wird das Maß der Liebe eines menschlichen Hirten zu seinen Schafen noch einmal weit übertroffen. Irgendwann wird der Hirt seine Schafe und Lämmer schlachten – es fällt ihm ganz sicher nicht leicht. Jesus jedoch lässt sich selber schlachten. „Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf“, so Jesaja. In Mel Gibson’s Film ‚Die Passion Christi‘ sieht man ihn dann auch so. Blut überströmtzerfetzt – im wahrsten Sinne des Wortes – dahin geschlachtet. Ein erschreckender Film, der zutiefst berührt. Er zeigt, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind.

Jesus war gekommen, das Reich Gottes in dieser Welt aufzurichten. Ein Reich des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Er wurde abgelehnt. Was aber auf ihn selbst zukommen sollte, war ihm voll bewusst. Verrat, Auslieferung, Folter, Leid, Tod. Er war bereit, sich darauf einzulassen – alles zu ertragen. Wir sollten uns aber von der Vorstellung lösen, als habe Gott seinen Sohn als blutiges Opfer hingeschlachtet – sein Blut, sozusagen vergossen zu seiner Genugtuung, für die Sünden der Menschen. Nein. Nicht Gott, sondern Menschen mordeten Jesus. Menschen vergossen sein Blut. Menschen tragen schwere Schuld. Gewiss – Jesus hat durch seinen blutigen Tod am Kreuz alle Menschen erlöst. Weil – er will uns befreien zum Guten, zur Liebe. Er schenkt uns ein Leben über dieses Leben hinaus. Ob wir zu ihm gehören, zeigt sich vor allem darin, ob wir die uns geschenkte Liebe Anderen weiter zu geben, bereit sind. Dass wir ihnen zur Seite stehen, ein Stück weit ihre Nöte teilen, ein Stück weit sie auf ihrem Weg begleiten. So – und ganz in diesem Sinn – müssen auch wir unser Leben für Andere hingeben.

Mit einem Zitat von John Henry Newman möchte ich schließen.

Ich bin berufen – etwas zu tun oder zu sein – wofür kein anderer berufen ist. Ich habe einen Platz in Gottes Plan – auf Gottes Erde – den kein anderer hat. Ob ich reich bin, oder arm – verachtet, oder geehrt bei den Menschen. Gott kennt mich – und er ruft mich mit meinem Namen. Amen.